Bang, da bin ich gewählt. Ziemlich unvorbereitet hat’s mich erwischt. Mit ein paar hundert Stimmen werde ich einer von 40 Repräsentant:innen der Gemeinde.
Wie ich zur Kommunal-Politik kam? Auf der Toilette. Doch das ist eine andere Geschichte. Das politische Interesse aber ist früh geweckt. Bereits in Vorlesungen um die Jahrtausendwende lausche ich gebannt den Worten des Professors, wie die Menschen den Mächtigen Mitbestimmungsrechte strittig machen und nach Möglichkeiten sinnen, diese wertvollen Errungenschaften vor Missbrauch zu schützen.
Und nun kann ich also selbst Einfluss nehmen. Ein Wählender+ quasi, die nächste Stufe in der kommunalen Hierarchie. Bin ich mich beruflich eher flache und informelle Strukturen gewöhnt, sitze ich auf ein Mal in einem Rat, welcher durch eine Präsident:in geleitet wird und Formelles wichtig erscheint. Wusstest du, dass vor einem Votum jeweils die Ratspräsident:in, der Gemeinderat und die Einwohnerratskolleg:innen begrüsst werden? Nicht einzeln, klar, aber trotzdem ein Overhead, welcher in der Startupwelt längst wegrationalisiert und durch ein persönliches und emotionales Check-In ersetzt worden wäre.
Was mir bald schon auffält und ich eine erste Lösung vorschlage: Die Prozesse der Diskussion und Entscheidungsfindung im Einwohnerrat sind nicht mehr zeitgemäss. Wir erhalten die Unterlagen einige Wochen vor der Einwohnerratssitzung, diskutieren diese in den Parteien, gehen mit gemachten Meinungen und Voten in die Sitzung und stimmen ab. Wo also findet nun die Politik statt? Im besten Falle beim Treffen der Parteimitglieder. Aber gibt es eine breite fachliche, inhaltliche Auseinandersetzung? Eine Diskussion und Argumentation über die Grenzen der Partei hinaus? Gibt es einen Kanal, auf welchem Ideen und Vorstösse angestossen und „getestet“ werden können, bevor der oft langwierige Prozess eines Postulats beschritten werden muss?
Da können wir und alterwürdige Politprozesse von den agilen und iterativen Prinzipien des Design Thinking profitieren. Und mit unserem neu aufgesetzten Einwohnerrats-Discord – einem Chattool analog Slack/Whatsapp – können wir uns nun jederzeit rasch und parteiübergreifend abstimmen. So kann ein Vorstoss frühzeitig spannende Inputs aufnehmen, sich auf einen mehrheitsfähigen Kompromiss einlassen oder bewusst parteiisch die Einwohnerrät:innen sensibilisieren. 27 von 40 solchen sind bereits dabei – wir bleiben dran.
Nach drei Jahren habe ich mich an den Umgang im Rat gewöhnt, meine die Gemeinde durch mein Amt als Einwohnerrat und Mitglied der Finanzkommission gut zu kennen und zu wissen, wo der Schuh drückt. Wo wir Potenzial haben. Und was wir bereits gut können. Dazu gerne auch in einem späteren Beitrag mehr.
Ich geb’s zu: Inzwischen übernehme ich die Verantwortung dieses Amtes gerne und möchte wiedergewählt werden. Würde es schade finden, wenn ich nicht auch in Zukunft Ideen, Kritik und meine Erfahrung einbringen dürfte. Aber ob’s dazu kommen wird, steht noch in den Wahlsternen.
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